Die Lehren aus dem Kimmich-Transfer

Steffen Trenner 05.01.2015

Wer ist Joshua Kimmich?

Dass der defensive Mittelfeldspieler nach München wechselt, war nicht wirklich überraschend. Schon länger wurde der Name Kimmich im Umfeld des FC Bayern mal lauter mal weniger laut gemurmelt. Allenfalls der Zeitpunkt überrascht. Der FC Bayern wollte bei dem hochveranlagten zentralen Mittelfeldspieler offenbar auf Nummer sicher gehen – auch wenn ihm bisher jegliche Bundesliga-Erfahrung fehlt. Die Liste der Interessenten war ohnehin entsprechend lang.

Kimmich ist Beileibe kein Geheimtipp mehr. Der Gewinner der Fritz-Walter Medaillen in Silber (2013) und Bronze (2014) hat sich spätestens mit seinen überragenden Leistungen bei der U19-EM in Ungarn ins Rampenlicht gespielt, bei dem das Team des ehemaligen U17-Coaches des FCB Marcus Sorg den Titel holte. Kimmich war im Finale gegen Portugal gemeinsam mit dem Nürnberger Stark der überragende Mann auf dem Platz. Kimmich (1.76m) ist ein zentraler Mittelfeldspieler der neuen Schule. Enorm ballsicher und ballgewandt, technisch stark, eher giftig als robust und mit hoher Laufbereitschaft. Er erinnert mit seiner Spielweise sehr stark an den heutigen Toni Kroos, hat aber den Vorteil, dass er in Leipzig auch die Verantwortung und Abläufe im Gegenpressing früh verinnerlichen konnte. Kimmich, der seit zwei Jahren ein fester Bestandteil des Leipziger Fußball-Projektes ist, ist für sein Alter sehr reif. Ausgereift ist er noch lange nicht. 72 Ballkontakte verbucht er pro 90 Minuten in dieser 2. Liga-Saison. Allein seine Passquote von nur 74 Prozent zeigt, dass Kimmich weiter an seiner Ruhe und Genauigkeit im Passspiel arbeiten muss.

Gut zu Bayern und zu Guardiola passt, dass sich Kimmich nie versteckt. Er reißt ein Spiel an sich und übernimmt Verantwortung im Spielaufbau. Er ist dabei in der Lage sich auch aus hohem Pressingdruck zu befreien. Verinnerlicht hat er auch den heute intensiv gelehrten „Schulterblick“ mit dem er sich vor Ballannahme einen Überblick über Passmöglichkeiten und Raumsituation verschafft. Kimmich ist kein spektakulärer Spieler und war in 13 Partien in der laufenden Saison nur an einem Treffer beteiligt. Er ist eher einer, der die Grundlagen legt und ein Spiel ordnen und gestalten kann.

Diskutiert wurde über die relativ hohe Ablösesumme von 8,5 Millionen Euro. Bei genauer Betrachtung ist das finanzielle Risiko allerdings äußerst gering. Schwere Verletzungen mal ausgeklammert ist es extrem unwahrscheinlich, dass Kimmich in drei oder vier Jahren keinen Marktwert von 5 Millionen Euro oder mehr wird erzielen können. Selbst wenn er sich bei Bayern nicht endgültig durchsetzt, werden seine Qualitäten bei normaler Entwicklung einen Markt finden. Das Risiko ist deshalb wie gesagt äußerst gering.

Was der Transfer für den FC Bayern bedeutet

So viel zum Fußballer Kimmich. Spannend ist der Transfer auch aus personalpolitischer Sicht. Der FC Bayern baut offenbar mit Plan und Nachdruck an der Zukunft und stellt frühzeitig die Weichen für die Jahre 2016-2020. Drei Lehren aus dem Kimmich-Transfer aus Sicht des FC Bayern:

1. Umbruch ab 2016

Es kristallisiert sich zur Zeit eine Kaderplanung der zwei Geschwindigkeiten heraus. Entscheidender Faktor ist dabei der Vertrag von Xabi Alonso, der im Sommer 2016 endet. Alonso wurde geholt, um nach dem Abgang von Toni Kroos die goldene Generation um Lahm, Schweinsteiger, Robben und Ribéry weiter zu veredeln. Bis 2016 sind bis auf Claudio Pizarro und Mitchell Weiser alle Spieler an den Verein gebunden. Alonso wird 2016 35 Jahre alt. Es ist unwahrscheinlich, dass er darüber hinaus ein wesentlicher Bestandteil des FC Bayern sein soll. Auch Bastian Schweinsteigers Vertrag endet 2016. Er wird dann 32. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sollen neue Kräfte wie Kimmich, Hojbjerg, Gaudino oder Kurt in der Lage sein mehr Verantwortung zu übernehmen. Spätestens 2017 wenn die Verträge von Ribéry (dann 34), Robben (dann 33), Dante (dann 33), Rafinha (dann 32) auslaufen, müssen die Alternativen in der Lage sein auf hohem Niveau zu funktionieren. Es gibt deshalb zwei Geschwindigkeiten in der Kaderplanung. Auf der einen Seite der maximale Erfolg bis 2016/2017 und auf der anderen Seite die Vorbereitung der neuen Generation auf die Phase ab 2016/2017.

Es ist keine leichter Spagat wie zum Beispiel die Personalie Hojbjerg aktuell zeigt. Auch Kimmich wird es schwer haben von Beginn an Spielzeit zu bekommen. Der lange Vertrag bis 2020 unterstreicht aber den festen Willen von Sammer und Co. in seine Entwicklung zu investieren. Klar ist, dass der Umbruch beim FC Bayern ein Prozess sein wird, der zwei bis drei Jahre dauern wird. Philipp Lahm ist zum Beispiel noch bis 2018 gebunden. Im US-Sport wird gern zwischen zwei Begriffen unterschieden. Dem „Rebuild“ – also dem kompletten Umbruch des Kaders und dem „Reload“ – also der gezielten Wiederauffrischung des Kaders, der dabei wesentliche Elemente beibehält. Beim FC Bayern wird es wohl eher auf einen Reload hinauslaufen. Auch wenn der sukzessive Abgang von Lahm, Schweinsteiger, Ribéry und Robben ein schmerzhafter Einschnitt wird – mit Neuer, Müller, Götze, Alaba, Lewandowski, Boateng und Co. gibt es ein starkes Fundament auf das auch nach 2016/2017 weiter aufgebaut werden kann. Es ist positiv, dass der FC Bayern mit Transfers wie dem von Kimmich schon heute die Weichen für diese Zeit stellt. Garantien gibt es zwar keine, aber es ist immer gut auf gewachsene Strukturen zu setzen, statt in zwei bis drei Jahren plötzlich in starken Zugzwang zu kommen.

2. Sanfter Strategiewechsel in der Transferpolitik

Die 8,5-Millionen Euro Verpflichtung von Joshua Kimmich unterstreicht auch einen gewissen Strategiewechsel in der Transferpolitik des FC Bayern. Nach der Verpflichtung von Sinan Kurt (18) und dem nachdrücklichen Interesse an Martin Ødegaard (16) ist Kimmich bereits die dritte Wette auf die Zukunft, die die Münchner eingehen wollen. Es gab in der jüngeren Vergangenheit drei Arten von Transfers in München. Die Top-Stars wie Götze, Ribéry und Co. Die hochbezahlten Rollenspieler (vorzugsweise aus der Bundesliga) wie Dante, Altintop oder Olic, sowie junge U23-Spieler mit Potenzial wie Baumjohann, Jansen oder zuletzt Rode. Abgesehen von den Südamerika-Transfers der 2000er hat der Rekordmeister in der Vergangenheit äußerst selten Geld für U19- oder U20-Spieler in die Hand genommen – vor allem dann nicht wenn der Leistungsnachweis auf höchstem Niveau fehlte. Durch den Handlungsdruck ab 2016/2017 könnte sich hier ein Strategiewechsel verstetigen. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass auf den Kimmich-Transfer weitere Verpflichtungen dieser Art folgen könnten. Spieler wie Max Meyer (19), Leon Goretzka (19), Timo Werner (18) oder Julian Brandt (18) spielen in den Gedankenspielen der sportlichen Führung der Münchner mit Sicherheit eine Rolle. Kimmich wird nicht die letzte Verpflichtung in diesem Alterssegment bis 2016 bleiben.

3. Wenig Vertrauen in eigenen Nachwuchs

Der Kimmich-Transfer unterstreicht auch, dass das Vertrauen der Bayern-Verantwortlichen in den eigenen Nachwuchs mit Blick auf die Zeit nach 2016 nicht allzu hoch ist. Zwar wird die Entwicklung von Gianluca Gaudino mit Verve gelobt und voran gestellt – auf der anderen Seite ist er beim Blick auf die U19- und U18-Spieler aktuell das einzige Eigengewächs, der sich neben Hojbjerg realistische Hoffnungen auf einen Kaderplatz mit Einsatzoptionen machen kann. Lucas Scholl (18) wird zwar immer wieder genannt, ist aber aktuell sehr weit weg vom Profi-Kader und auch kein Bestandteil der Junioren-Nationalelf. Dass selbst Ylli Sallahi (20) als absoluter Leistungsträger bei den Bayern Amateuren keinerlei Perspektive in München besaß und nach Karlsruhe transferiert wurde, spricht Bände. Die Entwicklung von Julian Green (19) stockt zur Zeit in Hamburg ebenfalls. Zumindest haben es im vergangenen Jahr wieder einige wenige Bayern-Spieler wie Gaudino, Hingerl und Strein in die Kader der U19 und U18-Nationalmannschaften geschafft. Fraglos muss das kein Kriterium für die weitere Profilaufbahn sein. Schlecht ist es aber sicherlich nicht.

Die weitere Professionalisierung und Weiterentwicklung der Nachwuchsarbeit in München steht weit oben auf der Agenda des Vereins. Der anstehende Umbruch 2016/2017 kommt aber wohl zu früh, um ihn vor allem aus „Bordmitteln“ zu bestreiten. Auch das hat der Transfer von Joshua Kimmich verdeutlicht.