Katharina Baunach, FC Bayern München

„Ich wollte immer Nationalspielerin werden“ – Interview mit Katharina Baunach

Jolle Trenner 07.04.2015

Obwohl Du erst 26 Jahre alt bist, hast Du schon viele Jahre lang unter verschiedenen Trainern beim FC Bayern gespielt. Wie war Dein Werdegang im Verein?

[Lacht] Ja, innerhalb der Gruppe fühle ich mich schon ziemlich alt. Ich bin im Jahr 2006 mit 17 nach München gekommen, ohne die Jugend bei Bayern durchlaufen zu haben. Das heißt, ich bin direkt bei der ersten Mannschaft eingestiegen. Meine erste Trainerin war Sissy Raith, zwei Jahre später kam der Wechsel zu Günther Wörle, dem Vater von Tom, unserem jetzigen Trainer, der seine Sache jetzt seit 4-5 Jahren richtig gut macht. Bei Günther kann man schon sagen, dass er noch für die „alte Schule“ steht, was die Trainingsgestaltung betrifft. Fußball entwickelt sich über die Jahre immer weiter auch was den Trainingsinhalt und das Taktische betrifft. Das ist heutzutage viel ausgeprägter als noch vor ein paar Jahren.

Trainiert ihr mittlerweile mehr, wo sich der Frauenfußball insgesamt professionalisiert?

Sicher. Wir trainieren bis zu acht Mal die Woche, darunter sind zwei Vormittagseinheiten, so dass wir einen Tag komplett frei haben, um regenerieren zu können. Montags gibt es ein Regenerationstraining für diejenigen, die am Sonntag gespielt haben, der restliche Teil absolviert eine Trainingseinheit. Dienstags haben wir den freien Tag, mittwochs dann zwei Einheiten mit morgendlichem Athletiktraining und abendlichem Fußballtraining. Donnerstags gibt es eine Trainingseinheit und am Freitag wieder zwei, davon eine Athletik. Von der Intensität ist die Krafteinheit am Mittwoch natürlich höher als zum Ende der Woche. Das wird natürlich mit Blick auf den Spieltag etwas dosiert.

Ihr habt also spezielle Trainingseinheiten ausschließlich für die Physis, wo ihr in den Kraftraum geht oder wird die Fitness bei den fußballerisch-technischen Übungen mittrainiert?

Es kommt darauf an, in welcher Phase der Saison wir uns befinden. Klar, in der Vorbereitung geht’s um Muskelaufbau, um die Grundlagen, die man sich schafft. Zum Saison- oder Rückrundenstart gehst du dann eher in den Schnellkraftbereich. Seit 1-2 Jahren haben wir zusätzlich mit Matthias Nowak einen Technik- und Kreativtrainer am Start. Mit ihm trainieren wir viele technische Aspekte, aber auch Visuelles, die Wahrnehmung auf dem Platz, wie befreie ich mich aus Drucksituationen, Bewegungsabläufe, Automatismen. So üben wir, nicht nur auf den Ball fixiert zu sein, sondern einen Rundumblick zu entwickeln. Denn in der Liga bekommst du nicht viel Zeit. Ein, zwei Ballkontakte und dann klebt Dir die Gegenspielerin dran oder der Ball ist schon wieder weg.

Wie schaut so eine technisch-kreative Einheit konkret aus? Wird es mit Videomaterial untermauert oder geht es speziell um das Stellungsspiel?

In diesen Einheiten geht es rein um die Praxis auf dem Platz. Der Trainer zeigt die Übungen an und wir starten mit Bewegungsvorbereitung. Nicht alle Übungen sind mit Ball. Es gibt auch einfache Sprungformen, Bewegungsrhythmen von Armen und Beinen, bei denen man koordinativ einiges miteinander verbinden muss. Das ist vor allem extrem anstrengende Arbeit für den Kopf. Mal soll der eine Arm diese Bewegung machen, der andere etwas anderes und dann kommt noch der Ball dazu. Du musst rechnen, klatschen und Zahlen aufsagen. Alles in einem. Für die „Polizistenübung“ [regelt engagiert den Verkehr in der Boazn] hab ich bestimmt ein halbes Jahr gebraucht, bis ich die mal richtig drin hatte.

Die Übungen dauern selbst nicht lange. Die Einheiten sind mal eine halbe Stunde lang, mal 50 Minuten. Oft starten wir das Training damit, denn dafür brauchst Du eine gewisse Frische und musst hinterher erstmal runterfahren, um das alles zu verarbeiten. Mit den Jahren wird das komplexer. Du fängst einfach an, wiederholst die Übungen, damit du die Automatismen verinnerlichen kannst. Darauf wird dann mit der Zeit mehr und mehr aufgebaut. Anfangs mit dem Fokus auf Bewegungen, später geht es mehr um das Visuelle. Durch diesen Entwicklungsprozess muss aber jede in ihrem Tempo durch, das individuell ganz verschieden sein kann. Von ihm [Nowak] bekommen wir aber ein ganz gutes Feedback. Er trainiert ja auch Männerteams und ist manchmal überrascht, wie gut es läuft und wie schnell er zum nächsten Schritt übergehen kann. Frauen sind hier zum Teil schneller als Männer.

Du sagst, jede hat ihr individuelles Tempo, aber der Trainingsablauf ist ja relativ eng durchstrukturiert. Gibt es denn für einzelne Spielerinnen die Freiräume, sich nochmal intensiver mit einer Übung auseinanderzusetzen? Muss sich dann jede für sich nochmal privat den Ball schnappen?

Diese Freiräume gibt es. Das ist für uns ganz wichtig. Schon deshalb, weil wir viele internationale Spielerinnen im Team haben, die sich auch an die Kultur und an die Sprache gewöhnen müssen. Denn hauptsächlich sprechen wir Deutsch im Training. Nur besonders wichtige Dinge werden dann nochmal auf Englisch vermittelt. Bei solchen Übungen teilen wir die Leute dann in Gruppen ein, damit sich die Erfahreneren, die von Anfang an dabei waren, nicht langweilen, während die Neuen gerade erst starten. Gerade bei unseren ausländischen Mitspielerinnen merkt man, dass sie aus einem ganz anderen Spielsystem kommen — mit viel Wert auf Physis und Athletik. Da ist der europäische Fußball schon taktischer und technischer. Wenn der Trainer dann merkt, vielleicht braucht die eine oder andere anfangs eine Taktikschulung mehr, dann kommt sie eine Stunde früher ins Training und bekommt in einer Einzelstunde an der Taktiktafel die Hintergründe erklärt. So wird sich dann auf jede Spielerin speziell eingestellt.

Neben dem Fußball ist es bei den Frauenprofis Normalität, dass sie zusätzlich zum Sport berufliche Verpflichtungen haben, studieren oder eine Ausbildung machen. Wie ist das bei Euch?

Dass jemand Vollzeit arbeitet, ist bei unserem Pensum mit Training, Spielen, Physio und allem, was dazugehört, fast unmöglich. Ich arbeite zum Beispiel halbtags, mein Fokus ist der Fußball. Schließlich bin ich ja auch für den Sport nach München gekommen. Bei unserem Altersschnitt haben wir auch viele Spielerinnen, die hier studieren oder ein Fernstudium machen. Spielerinnen, die aus dem Ausland zu uns kommen, belegen Deutschkurse, um sich in unserer Kultur zu integrieren. Das ist häufig deren außersportliche Verpflichtung.

Wie wird diesen Spielerinnen nach ihrer Ankunft in München unter die Arme gegriffen?

Wir sind eine Mannschaft und machen auch viel außerhalb des Fußballplatzes gemeinsam oder vermitteln in unserer Whatsappgruppe. Außerdem hilft natürlich unsere Teammanagerin Tanja Wörle bei Fragen oder Problemen im Alltag, z.B. beim Abschluss eines Handyvertrags oder solchen Dingen. Sie ist da das Bindeglied zwischen Mannschaft und unserer Managerin im Verein, Karin Danner.

Wenn man Dich am Ball beobachtet, sieht man, dass Du technisch besonders versiert bist. Hast Du diese Gabe von klein auf mitgebracht oder profitierst Du einfach besonders vom Techniktrainer?

Ich bin eigentlich eine typische Straßenfußballerin. Mein Leben bestand schon immer nur aus Fußball. Kaum kam ich aus der Schule und das Essen stand auf dem Tisch, hat mich das gar nicht interessiert. Da wurde der Ranzen in die Ecke geschmissen und dann ging’s direkt an den Ball und an die Hauswand, bis abends die Lichter angegangen sind. Da gab es von den Eltern schon mal zu hören „Jetzt hör doch mal auf. Irgendwann ist doch auch mal genug“. Ich hab halt sehr viel selbst für mich trainiert. Aber zwei Brüder hatte ich auch noch, die gespielt und mich zum Fußball gebracht haben. Ich stamme aus einer total fußballverrückten Familie. Mein Opa hätte zu seiner Zeit Profispieler werden können, hat sich dann aber für Familie und Beruf entschieden — der hat mir natürlich auch einiges beigebracht. Sogar meine Mama und meine Oma haben gekickt — zwar nicht professionell oder im Verein, aber Fußball gespielt haben bei uns alle.

Da muss Dir die Arbeit mit einem Kreativtrainer ja besonders entgegenkommen.

Klar, mit Sicherheit. Für manche Übungen nimmt er mich auch zum Vormachen raus. Das freut mich dann natürlich oder wenn ich das Feedback bekomme: „Du bist eine Spielerin mit dem Blick für das ganze Spiel, mit Spielverständnis, hast das Auge für Räume“ — das kommt mir natürlich schon zu Gute. Ich wüsste auch nicht, welche andere Mannschaft die Möglichkeit hat, so mit einem Kreativtrainer zusammenzuarbeiten.

Jetzt sind also die individuellen Grundsteine gelegt. Dann müssen diese Fähigkeiten vom Trainer ja noch in ein Spielsystem, also eine Spielidee und eine Formation gegossen werden. Das braucht auch nochmal Zeit. Hat man in der Endphase der Saison überhaupt noch die Möglichkeiten, etwas Neues einzustudieren für den Fall, dass die Gegner sich schon auf die eigene Spielweise eingestellt haben?

Klar. Generell bereitet uns der Trainer immer auf die jeweilige Situation, auf den Gegner, aber auch auf den Spielverlauf vor. Das Spiel gegen Sand ist ein ganz anderes als gegen Potsdam. Wir mussten uns auf ganz andere Verhältnisse einstellen. Das Spielsystem mit der Fünferkette, das wir spielen, ist ein sehr flexibles. Seit dieser Saison haben wir endlich auch einen Kader mit der Qualität in der Breite, die es braucht. Das konnte man bei Topvereinen wie Wolfsburg sehen. Wenn die sehr viele Ausfälle hatten, kam von der Bank immer wieder was nach. Das hatten wir in den letzten Jahren noch nicht so. Jetzt merkt man, dass wir Spielerinnen auf der Bank haben, die immer nochmal für Schwung sorgen. Aber auch von der Spielweise sind wir variabler. Gerade weil das System so flexibel ist, lassen sich die Spielerinnen auch auf ganz unterschiedlichen Positionen einsetzen.

Wie frei oder restriktiv sind denn die Vorgaben, die Euch der Trainer mit auf den Weg gibt?

Grundsätzlich sind wir sehr variabel und haben im Wintertrainingslager auch nochmal stark im taktischen Bereich gearbeitet. Wir haben in dieser Saison mit mehr als zehn Abgängen und neun Neuzugängen ein komplett neues Team und sind selbst etwas überrascht, wie schnell wir uns schon gefunden haben. Jede bringt ihr individuelles Können in die Gruppe mit ein, was uns als Mannschaft so stark macht. Das Trainingslager haben wir nun genutzt, um uns auf gewisse Situationen einzustellen, auf den Spielverlauf. Wenn du hinten liegst und sich die 90. Minute nähert, bringst du natürlich eher noch mal jemanden mit Schwung für die Offensive, als jemand Defensiven einzuwechseln. Aber auch ohne Wechsel lässt sich das System im Spiel umstellen, um mehr Druck in die Offensive zu bekommen oder im umgekehrten Fall die Defensive zu stärken.

Wie verläuft die Kommunikation bei Umstellungen? Gibt der Coach von außen Codes oder Handzeichen rein oder wird vorab schon vereinbart, ab einer bestimmten Zeit, einem Spielstand oder bei bestimmtem Gegnerverhalten die eigene Gangart zu ändern?

Es gibt schon vor dem Spiel grundsätzliche taktische Vorgaben, die der Trainer angepasst an die jeweiligen Stärken und Schwächen des Gegners bestimmt. Darüber hinaus haben wir verschiedene Formationen einstudiert, zu denen wir auch innerhalb des Spiels switchen können. Die gibt dann auch der Trainer rein, schließlich sieht der das Spielgeschehen von der Seitenlinie aus am besten. Meist wollen wir aber selbst agieren und nicht bloß auf den Gegner reagieren.

Du hattest den großen Umbruch der Mannschaft vor der Saison erwähnt. Wenn der Kern des Teams in der kommenden Saison zusammenbleibt, können wir uns vielleicht auf noch ausgefeiltere taktische Aspekte freuen.

Ich denke schon. Wenn wir zum Beispiel das Pressing und Gegenpressing nehmen, was bei uns in den letzten Jahren noch nicht das große Thema war. Da sind die Männer des FC Bayern nicht nur dem Frauenfußball voraus, sondern auch anderen Mannschaften. Die haben Ballbesitzphasen en masse und auch deren Gegenpressing ist so stark, dass der Gegner den Ball nur zwei bis fünf Sekunden hat, bevor er schon wieder weg ist. Wenn man dem Ball permanent hinterherlaufen muss, zermürbt das natürlich auch. Deshalb wird das Thema auch für uns immer wichtiger.

Gibt es innerhalb der Mannschaft Spielerinnen, mit denen Du besonders gern gleichzeitig auf dem Feld stehst, weil man sich wie blind versteht oder macht es aufgrund der individuellen Klasse keinen Unterschied, welche Formation zusammenspielt?

Es ist tatsächlich so, dass wir uns im Vergleich zu den letzten Jahren nochmal ganz gezielt verstärkt haben und das Zusammenspiel aufgrund der individuellen Stärke mit allen gut funktioniert. Hinzu kommt, dass wir den Teamgeist groß schreiben. Fußball ist ein Mannschaftssport. Nur mit einem funktionierenden Team kannst du erfolgreich sein — da helfen auch die besten Individualisten nichts. Sicher können diese einzelne Spiele entscheiden, aber nicht die Meisterschaft. Bei uns rennt jeder für jeden. Wenn eine einen Fehler macht, versuchen die anderen, den wieder auszubügeln. Auch gute Pässe hängen ja nicht nur vom Passgeber ab. Wir müssen mit unseren Laufwegen immer Angebote für diejenige schaffen, die gerade den Ball hat. Ich bin zwar nicht für das Scouting verantwortlich, aber ich schätze, schon dort spielt der Charakter der Spielerinnen und die Frage, wie sie sich bei uns einbringen könnten, eine Rolle neben den fußballerischen Qualitäten. Sonst wäre es auch schwierig, aus so vielen Nationalitäten wie bei uns ein Team zu formen. Man merkt das immer zu Länderspielpausen, wenn es plötzlich eine relativ kleine Gruppe ist, die noch zusammenarbeitet. Auch solche Proben nutzen wir zu unserem Vorteil. Wir können dann zum Beispiel in ganz kleinen Gruppen viel spezifischer arbeiten und die Übungen auf die einzelnen Spielerinnen zuschneiden.

Gegen Duisburg habt Ihr kürzlich die Erfahrung gemacht, dass es auch gegen vermeintlich schwache Gegner nicht immer gelingt, ein Tor zu schießen. Gegen Sand lagt Ihr nach einem klassischen Fehlstart schon kurz nach Anpfiff 1:0 zurück. Ist Euch dann die Muffe gegangen, dass Ihr vielleicht auch hier keinen Ausgleichs- oder Siegtreffer über die Linie drücken könnt?

Das würde ich so nicht sagen. Uns war schon vorher klar, dass uns in Sand eine besonders schwere Aufgabe bevorstehen würde. Nicht nur wegen dem Gegner selbst, sondern auch den Bedingungen vor Ort. Der Wind pfeift durch. Der Platz ist unglaublich eng und kurz. Dazu kommt das Umfeld in Sand, wo noch die typische Sportplatzatmosphäre herrscht und die Zuschauer anders als in einem Stadion einem 1-2 Meter neben der Auslinie dranhängen. Da kriegt man auch das ein oder andere zu hören. Nicht nur wir, sondern auch ganz andere Teams haben sich in Sand schwergetan. Auch Frankfurt lag dort zunächst 1:0 zurück und hat das Spiel noch gedreht. Da gab es für uns nur eins: Mund abwischen, weitermachen, um schnellstmöglich auszugleichen und als Sieger vom Platz zu gehen.

Es sind nur noch drei Spiele zu spielen. Für den Moment steht ihr an der Tabellenspitze, wenngleich Wolfsburg und Frankfurt ein Spiel weniger haben. Dennoch: an diesem Spieltag ist Euch Platz 2 nicht mehr zu nehmen. Nach außen kämpft der Trainer gegen die Favoritenrolle an. Ist das intern anders und er pusht Euch? Oder versucht er, Euch im Saisonendspurt auf dem Boden zu halten?

Der Trainer hält auch intern genau die richtige Balance. Wir sind ein neues Team. Wenn es läuft, wird man schnell in eine Favoritenrolle reingedrückt. Aber wir müssen uns auf jedes einzelne Spiel konzentrieren und dabei orientieren wir uns an inhaltlichen Punkten. Das ist das Einzige, was zählt. So ist die Kommunikation nach außen, aber auch nach innen.

Habt Ihr Euch als Team ein besonderes Ziel gesetzt oder arbeitet Ihr ausschließlich daran, die fußballerischen Aufgaben umzusetzen und das Ergebnis zeigt sich dann?

Wir haben jetzt schon sehr viele Spiele hinter uns gebracht. Am Anfang wusste niemand — auch wir selbst nicht — wo werden wir stehen. Jetzt haben wir noch drei „Endspiele“ vor uns und sind als einziges Team ungeschlagen. In der jetzigen Konstellation stehen wir sehr gut da. Natürlich hat da auch jede Einzelne ihre Träume. Jetzt wollen wir das Bestmögliche herausholen. Aber abgerechnet wird zum Schluss. Wir haben die bittere Erfahrung in der Saison 2008/09 bereits machen müssen, als wir am letzten Spieltag punktgleich mit Potsdam mit nur einer um ein Tor schlechteren Tordifferenz die Meisterschaft verpassten. Es sind zwar nicht mehr viele von damals mit dabei, aber für diejenigen ist eine Welt zusammengebrochen. Das ist auch ein Grund dafür, dass wir auch in vermeintlich früh entschiedenen Spielen nicht nachlassen wollen. Die Tordifferenz kann über die Meisterschaft entscheiden. Wir sind nie zufrieden. Das ganze Team ist hungrig.

Können diejenigen, die damals dabei waren, diese Erfahrungswerte an all die Neuen weitergeben oder ist es eher von Vorteil, dass sie dieses Trauma nicht im Gepäck haben?

In unserer Mannschaft gibt es viele Spielerinnen, die Erfahrungen in anderen Wettbewerben oder in der Nationalmannschaft gesammelt haben und auch schon in entscheidenden Spielen als Verlierer vom Platz gehen mussten. Das lässt sich also schon vermitteln, aber darauf liegt nicht unser Fokus. Wir wollen angreifen, nach vorne spielen und Tore schießen — das macht ja auch am meisten Spaß.

Die klaren Kantersiege liegen allerdings schon ein Weilchen zurück und wurden alle vor der Winterpause erspielt.

Jede Mannschaft nutzt natürlich die Winterpause, um die eigenen Fehler zu analysieren. Man hat gegen jede Mannschaft schon gespielt und kann aus den Erfahrungen lernen. Viele Mannschaften agieren nun anders gegen uns als vorher.

Fünf Mal hast Du in der aktuellen Saison in der Startelf gestanden und diese Spiele auch auf dem Platz beendet. Häufig kommst Du von der Bank, sei es, um nochmal Offensivakzente zu setzen oder das Spiel in seiner Endphase routiniert zu kontrollieren. Die Leistung, die man dann von Dir sieht, ist immer gut. Liegt es an der Qualität im Bayernkader oder eher am Spielsystem, dass Du nicht häufiger von Beginn an spielst?

Zum Ligastart stand ich in der Startelf — und das auch nicht zu unrecht. Dann haben mich Verletzungen in der Hinrunde eigentlich komplett rausgeworfen. Mein Ziel war es, zur Rückrunde wieder anzugreifen, aber die anderen Spielerinnen haben es in dieser Zeit einfach sehr gut gemacht. Mittlerweile haben wir diesen Kader mit der Qualität und dem Konkurrenzkampf in der Breite. Wenn es gut läuft, hat der Trainer natürlich auch keinen Grund durchzuwechseln und eine funktionierende Formation auseinanderzunehmen.

Offiziell wirst Du als Verteidigerin geführt. Gesehen hat man Dich in dieser Saison aber schon auf der linken Außenbahn oder z.B. auf der Sechs im defensiven Mittelfeld. Gibt es eine Position, auf der Du Dich besonders wohlfühlst und Deine Stärken besonders gut zeigen kannst?

Ich komme eigentlich aus der Offensive, bin aber ziemlich flexibel. Früher habe ich auch schon bei den Bayern die Sechserposition gespielt, aber auch den Zehner. Das zentrale Mittelfeld ist also eigentlich meine Position. In der Nationalmannschaft wollte die Trainerin dem Pressing des Gegners mit einem sauberen Spielaufbau von hinten raus begegnen und probierte mich auf der linken Außenverteidigerposition aus. Das funktionierte dann so gut, dass diese Idee wiederum vom Verein übernommen wurde und Günther Wörle mich von der Sechs nach links hinten verschob. Ich spiele beide Positionen gerne, aber beide haben ihre Eigenheiten. Auf der Sechs bist du mitten im Spielgeschehen, hast neben den Defensivaufgaben auch den Blick für die Offensive. Als Linksverteidigerin hast du das Spielgeschehen vor dir, früher in der Viererkette noch viel mehr als heute in der Fünferkette war die Position defensiv angelegt. Wenn du da die Mittellinie übertreten hast, ist der Trainer schon mal nervös geworden und es hieß „Kehrtwende zurück“. Auch in der Nationalmannschaft wird es heute gern gesehen, wenn die Flügelspieler Betrieb über außen machen und die Linie hoch und runter marschieren. Von daher bin ich mit der Position auch sehr zufrieden.

In der Nationalmannschaft warst Du 2009 zum letzten Mal vertreten.

Genau, soweit liegt mein letzter Einsatz zurück. 2013 war ich allerdings eingeladen in Cottbus gegen Russland und auch in Frankfurt und in Slowenien war ich mit dabei. In diesen drei Länderspielen wurde ich zwar nicht eingesetzt, aber nach meiner Verletzungsmisere wieder dabei zu sein, war für mich eine tolle Erfahrung.

Deine Verletzungshistorie ist ja ein ganz entscheidender Aspekt in Deiner Karriere, ohne den man die Rolle der Spielerin Baunach nur schlecht versteht. Wie kam es, dass Du so lange aus dem Fußballbetrieb rausgeworfen warst?

Von der U15, über U17, U19, U20 bis zur U23 hatte ich sämtliche Stationen beim DFB durchlaufen. 2008 hatten wir mit der U20 gerade die Weltmeisterschaft in Chile gespielt und den dritten Platz belegt. Aufgrund der guten Leistungen dort, bekam ich die Chance, mich auch beim Algarve Cup 2009 erstmals bei der A-Nationalmannschaft zu beweisen und war natürlich der glücklichste Mensch. Da ist für mich ein Traum in Erfüllung gegangen. Ich wollte immer Nationalspielerin werden und den Adler auf der Brust tragen. Doch ab diesem Zeitpunkt wollte mein Knie nicht mehr so recht mitmachen. Immer wieder hatte ich kleinere Blessuren bis hin zu einem großen Ausfall, wodurch ich dann zwei Jahre komplett aus dem Spielgeschehen rausgeworfen wurde. Die Diagnose lautete damals: Transiente Osteoporose, Knochenschwund. Der Knochen hinter der Kniescheibe löste sich ab. Dazu ein Knorpelschaden.

Anfangs bereitete mir der ganz gewöhnliche Alltag Riesenprobleme. Ohne Krücken kam ich nicht mal die Treppen hoch. Doch in der Reha machte ich sehr gute Fortschritte. Die Bilder, die alle acht Wochen gemacht wurden, sahen vielversprechend aus. Nach einem halben Jahr war ich bereit für einen Belastungstest, also ein Training mit Richtungswechseln, Schüssen und allem drum und dran. Der Test fühlte sich super an, alles ging, keine Beschwerden. Doch von diesem Gipfel folgte am nächsten Morgen der brutale Absturz. Ich hatte höllische Schmerzen. Die anschließenden Aufnahmen zeigten: Mein Knie war in einer schlechteren Verfassung als vor dem halben Jahr bei der Anfangsdiagnose. Die Diskrepanz zwischen den Bildern kann sich bis heute kein Arzt erklären. Man hat zwar einen Vitamin-B-Mangel bei mir festgestellt, aber der konnte nicht der alleinige Auslöser für diese Entwicklung sein.

Was folgte war eine Rehaphase mit ständigen Arztbesuchen, sämtlichen Therapieformen: Infusionen, Mesotherapie mit jeweils sieben bis zehn Spritzen. Über die Wochen verteilt waren das insgesamt 70 Spritzen.

Verliert man in einer solchen Phase den Glauben an die Rückkehr in den Fußballbetrieb?

Die Zeit war für mich extrem schwierig. Nicht nur sportlich gesehen, sondern auch für die Psyche. Ich wurde aus meinem Alltag rausgerissen, der ja komplett auf den Sport aufgebaut war. Da habe ich dann festgestellt, dass es auch noch ein Leben außerhalb vom Fußball gibt und meine Priorität mehr auf den Beruf gelegt. Nach der Arbeit standen dann trotzdem immer drei, vier, fünf Stunden Reha am Tag auf dem Programm. Doch für mich war es so: Egal, wie schwer die Verletzung war oder die Grenzen, an die ich in der Zeit gestoßen bin. Es gab nie den Punkt, an dem ich dachte: „Das hat alles keinen Sinn mehr“. Fußball ist mein Leben. Ich hab nie ans Aufgeben gedacht. Dabei war die Unterstützung vom Verein sehr wichtig für mich, die Familie und Freunde, die hinter mir standen.

Wie sah die Unterstützung vom Verein aus?

Nicht nur in dem ersten halben Jahr, sondern auch nach diesem riesigen Rückschlag hatte ich die volle Rückendeckung. Mir wurde signalisiert, dass ich mir so viel Zeit nehmen konnte, wie ich eben brauchte. Auch nach zwei Jahren, als der Vertrag auslief, wurde das nie zum Thema gemacht. Es gab keine zeitlichen Rahmenpunkte, bis zu denen ich hätte wieder fit werden müssen. Ich konnte mit jedem Thema zum Verein kommen. Zum Teil musste mich der Trainer ausbremsen und nach Hause schicken. Nach zwei Jahren, Kraft- und Aufbautraining kommt auch dein Kopf an seine Grenzen. Da hat der Trainer schnell erkannt: „Du brauchst eine Auszeit, komm, nimm sie Dir“.

Wie fühlst Du Dich jetzt in Deinem Körper?

Ich fühl mich gut. Ich bin wieder voll da. Klar, ein Knorpelschaden ist eine Abnutzungserscheinung, die sich nicht hundertprozentig zurückbildet. Von daher lasse ich die ein oder andere Sprungübung weg und mache dafür Alternativübungen. Aber das Trainerteam weiß bescheid, das ist alles abgestimmt. Die wollen ja das Beste aus den Spielerinnen rausholen und nicht ein bestimmtes Programm abarbeiten.

Du bist trotz all Deiner Erfahrung im besten „Fußballeralter“. Lass uns einen Blick nach vorne wagen: Welche Träume und Ziele hast Du noch — einerseits mit der Mannschaft, aber auch persönlich? Hast Du überhaupt welche?

Klar, als Sportler hat man immer Träume und will erfolgreich sein. Ich bin schon eine lange Zeit bei Bayern, das ist jetzt meine neunte Saison und bislang waren wir mit dem Pokalsieg 2012 ein Mal erfolgreich. Das war für mich nach meiner Leidenszeit einerseits eine Bestätigung, dass es richtig war, keine Zweifel aufkommen zu lassen, sondern durchzuziehen. Andererseits war es auch eine Entschädigung für all die Rückschläge, die ich hinnehmen musste und deshalb ein ganz besonderes Erlebnis. Zur Meisterschaft hat es bislang nicht gereicht, obwohl die Qualität da war. Jetzt ist die Qualität noch viel höher, auch die Trainingsqualität aufgrund des Konkurrenzdrucks. Natürlich ist es mein Wunsch, mit meinem Verein, mit dem FC Bayern Titel zu holen.

Ist die Nationalmannschaft noch ein Thema für Dich?

Ja, das ist sie — vielleicht kein ganz aktuelles, aber es ist bei mir immer im Hinterkopf. Ich wollte immer Nationalspielerin werden und den Wunsch habe ich noch immer. Auch wenn es damals nicht geklappt hat, versuche ich mich stetig weiterzuentwickeln, mich zu empfehlen und diese Einstellung werde ich bis zu meinem Karriereende auch nicht ablegen. Die Hoffnung habe ich und dafür werde ich arbeiten.

Mehr Infos, Fotos und Kontakt zu Katha Baunach findet Ihr auf ihrer Facebook-Fanpage

Dieses Interview auf Englisch

[Das Gespräch wurde am 31.03.2015 geführt. Fünf Tage später wurde Katharina Baunach für das Testspiel der Nationalmannschaft gegen Brasilien am 8.4. nachnominiert.]